AZ 14.01.2000
Eine bombige Party
Eos Schophl inszenierte im Bunker "Sonntagskinder"
Junge Frau, "Sie sehen immer aus, als ob Sie schreien wollten", sagt der Lebemann Monk mokant zur Gattin seines Geschäftspartners, die ihn im Auftrag ihres Mannes becircen soll. Elsa ist in der Tat nicht nach Flirten zumute: Zwischen Bebop, Bowle, Häppchen, Smalltalk und krummen Geschäften auf der Frühlingsparty in den 50er, Jahren drängt sich ihr die Vergangenheit in den Kopf. Erinnerungen an den Krieg, ihr Erwachsenwerden unter Nazis, Mitläufern, Opportunisten und Skeptikern, Kriegshelden und Kriegskrüppeln. Die Regisseurin Eos Schopohl hat zwei in den 70er Jahren geschriebene Stücke von Gerlind Reinshagen ineinander verzahnt: "Frühlingsfest" als Rahmen für die "Sonntagskinder" in Elsas Rückblenden. Das Theater Fisch & Plastik spielt die zum Entwicklungsbogen verklammerten Zeitbeschreibungen in der dreigeschossigen Bunkerhalle eines von der TU genutzten Gebäudes in der Luisenstraße 37 a, ursprünglich als Bunker für den heute in Garching stehenden Versuchsreaktor gebaut. In dieser beklemmend grauen, fensterlosen Betonwelt inszenierte Eos Schopohl mit sparsamstem Mobiliar (Bühne Lucia Nußbächer) die von einer Zeit in die andere kippende Atmosphäre mit virtuos gleitenden Übergängen und frappanten Stimmungsumschwüngen. Monk (Rainer Guldener), dem Elsa (Renée Kloninger) zum Scherz Plastikstreifen um den Kopf klebt, verwandelt sich so in den Soldaten, der sein Gesicht verloren hat. Die Kriegsleichen nach dem Bombenangriff rappeln sich als Schnapsleichen wieder zum Weitergrölen auf. Jede Figur bleibt - auch in den blitzschnellen Wechseln präzise und individuell charakterisiert. Das fabelhaft homogene 15-köpfige Ensemble (darunter Robert Spitz und Gabi Geist als Elsies Eltern, Achim Höppner als General und Christiane Blumhoff als dessen lebenslustige Frau) hält über drei Stunden Spieldauer eine enorme Spannung aufrecht, die auch in leisen Szenen nichts an Intensität einbüßt. Mit Thema und Form steht diese Aufführung ebenbürtig neben "Deutschland, bleiche Mutter" am Residenztheater. Eine Sternstunde der freien Szene.
Gabriella Lorenz
Süddeutsche Zeitung 19.01.2000
Bedrohlicher Bunker
"Sonntagskinder/Frühlingsfest"
Was für ein Ort! In einem ehemaligen TU-Gebäude in der Luisenstraße 37a, verborgen hinter langen Gängen: eine fast 20 Meter hohe Bunkerhalle, eine riesige Höhle, aus Beton. Angeblich war hier in den fünfziger Jahren sogar ein Versuchsreaktor geplant, damals, als der Glaube an Technik und Fortschritt noch keine Grenzen kannte. Ein Raum, wie geschaffen für das neueste Projekt der Regisseurin Eos Schopohl: Geht es in "Sonntagskinder/Frühlingsfest" doch genau um diese Stimmung des Aufbruchs ins Wirtschaftswunderdeutschland, um die Hoffnung darauf, dass jetzt alles endlich gut werde. Das ist zumindest der eine Teil der Geschichte; denn Schopohl hat in ihrer Inszenierung zwei Stücke von Gerlind Reinshagen verzahnt. Das "Frühlingsfest" der Nachkriegszeit bildet dabei den Rahmen, eine Gartengesellschaft mit Menschen, die mit- und gegeneinander die Jahre unter Hitler überlebt haben und nun auf das große Glück hoffen - oder wenigstens auf den großen Reibach. Doch immer wieder blitzt in Rückblenden die Vergangenheit auf, erinnert sich die Gastgeberin Elsa an ihre Kindheit als "Sonntagskind". In dieser Kindheit ist sie begeistert beim Jungvolk mitmarschiert, hat unter dem Arbeitsdienst gestöhnt und den Vater im Krieg verloren. Sie hat als Kind einem Soldaten Liebesbriefe ins Lazarett geschrieben - bis der grässlich Verunstaltete eines Tages vor der Tür stand und sie vor Enttäuschung vergewaltigte. Und so sieht dieses vielfach verführte und verunsicherte Mädchen Jahre später, inzwischen mit einem geschäftstüchtigen Kriegskrüppel verheiratet, immer noch so aus, "als ob sie schreien wollte". Eos Schopohl hat die beiden Stränge dramaturgisch klug verflochten; ständig wechseln die Zeitebenen, wechseln große Gruppen - und intime Kleinszenen. Durch die dauernde Bewegung wird der dreistündige Theaterabend nicht langweilig; und das 15-köpfige Ensemble des Theaters Fisch & Plastik marschiert und parliert munter bis zum Schluss. Besonders den (jungen) Frauen im Ensemble gelingen eindringliche Momente; Renée Kloninger als Else ist als traumverlorene Kind-Frau eine Idealbesetzung. Wenn sie und ihre Kameradinnen fröhlich schmetternd durch den Bunker ziehen, ahnt man bei aller Bedrohlichkeit auch etwas von der Faszination einer Ideologie, der vor sechzig Jahren fast alle erlegen sind. Und wohl wieder erliegen könnten. "Vorbei", redet sich die Gartengesellschaft ein, vorbei. Aber nichts ist vorbei, gar nichts.
Antje Weber