Landshuter Zeitung 28.01.2002

Am Strand der Hölle

Eos Schopohl inszeniert Grabbes "Gothland" in den Bunkern des Münchner Hauptbahnhofs

Bewusst hat Eos Schopohl keinen bürgerlichen Beruf gelernt; sie ging schon mit 14 Jahren zum Theater. Mit 16 bekam sie ihr erstes festes Engagement am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, wechselte mit Hans Lietzau ans Berliner Schillertheater. 1986 wurde sie Regieassistentin an den Münchner Kammerspielen, wo Dieter Dorn ihr die Inszenierung des vielbeachteten Stücks "Stalin" übertrog, das sie mit Peter Radtke in der Titelrolle besetzte. Neben diversen Regie und Lehraufträgen begann sie, Schritt für Schritt die freie Szene für sich zu erobern. In Erinnerung an ihren Nebenjob in einer französischen Fischfabrik nannte Schopohl ihr alternatives Theaterteam 1993 Fisch & Plastik.
In München hat sie rasch Gleichgesinnte gefunden. Bald auch Unterstützung durch das Kulturreferat. Schließlich Anerkennung eines aufgeschlossenen Stammpublikums. Spätestens seit "Transit Heimat/gedeckte Tische - Eine Reise mit Gorkis Sommergästen" im alten Giesinger Bahnhof ist sie bekannt dafür, mit ausländischen Schauspielern einfühlsam Szenen zu erproben. Sie versteht sich "nicht als Dompteur, sondern als eine Billardspielerin", die Anstöße gibt. Weder ihre Teamkollegen noch die Zuschauer will sie aus ihrer Selbstverantwortung erlösen. Christian Dietrich Grabbes Jugendstück "Herzog Theodor von Gothland" reflektiert nach ihrem Empfinde, den gegenwärtigen "weltpolitischen Wahnsinn". Es schwindele ihr, so aktuell ist der Stoff: falsch verstandener Idealismus, Bruderkrieg, Vergeltung. Der Autor nahm Anfang des 19. Jahrhunderts die Entfremdung, die Endstation des kapitalistischen Bürgertums, bereits vorweg. Das Stück spiegelt sein Leben zwischen Überlegenheits- und Minderwertigkeitsgefühlen, Scham und Stolz. Grabbe verquickt in seinem mörderischen Monstrum Schauerdrama und Schuldtragödie, Rührstück und Ritterspektakel, Historie und Intrige. Fast filmisch wirkt sein Stationendrama. Und Schopohl betont die für die damalige Zeit unerhörte episodale Form, führt die Zuschauer bei der interaktiven Aufführung persönlich durch den Luftschutzbunker unterhalb des Münchner Hauptbahnhofs. Dieser Kamerablick ermöglicht dem Publikum Perspektivenwechsel: Oben Menschengewimmel, Gedröhne der Züge, Weichenstellungen. Eine Treppe nach unten. Meterdicke Betonmauern. Gelb geflieste Böden. Neonmarkierungen. Stahltüren. Filteranlagen für die atomare Katastrophe. Die wenigen Requisiten könnten zufällig herumliegen: Hier und da Steine, leere Flaschen, Hocker, Decken, Blechschüsseln, klug ins Spiel integriert. Bülent Kullukcu hat für das Kriegsdrama eine atonale Musik zusammengestellt aus dumpfem Gedröhn und metallischem Geklirr. Auch die Kostüme von Monica Felgendreher beschränken sich auf das Wesentliche, sind zeitlos gehalten. Der Reiz liegt vor allem in Jo Hübners stilsicheren Raumdefinierungen, mit Toren aus Neonröhren für die Gerichtsszene oder am Boden platzierten Scheinwerfern beim Nachtlager. Das erste Bild zeigt die Landung der Finnen am schwedischen Strand und ihren Bund mit Berdoa, gespielt von Rainer Haustein. Düster wirkt alles; die Rohre in dem engen Gang erinnern an eine U-Boot-Szenerie. In der zweiten Episode erfährt Herzog Theodor, dargestellt von Alexander Diepold, vom Tod seines Bruders Manfred. Im Hintergrund leuchten Fliesen im eisigem Blau, der weite Saal selbst ist in ein kühles Hellgelb getaucht, denn "an der Gelbsucht krankt die Natur". Als der Bote, gezeigt von Robert Spitz, zu Berdoa überläuft, taumelt man in der Dunkelheit in die Richtung einer flackernden Kerzen. Das Leben wird zur unausweichlichen Höllenfahrt. Am Ende aller Kämpfe: Überdruss, Lethargie. Tod. Folgerichtig werden die Zuschauer, ohne traditionelle Verbeugung zur Treppe geführt, wo der alte Gothland, gespielt von Friedhardt Kazubko, fragwürdige Hoffnungen verbreiten will. Das Publikum liest einen letzten Gruß: "Dankeschön - Auf Wiedersehen", und die Darsteller opfern den wertvollsten Lohn, ihren Applaus, einer absolut stimmigen Inszenierung. 
Eva Maria Fischer 
 
 
TZ 28.01.2002

Schlachthof und Folterkammer

Treffpunkt Hauptbahnhof, Gleis 11: Dort beginnt eine lange Albtraumreise in die Unterwelt. Regisseurin Eos Schopohl leitet ein frierendes Grüppchen Zuschauer, bewaffnet mit Klappstühlen, hinab ins Bunkerlabyrinth der Luftschutzkeller. Szene für Szene durchschreitet man fahl beleuchtete, sauber geflieste Räume mit einer erdrückenden Atmosphäre zwischen Schlachthof und Folterkammer. Hier wird jeder Ton dumpf, brechen sich die Stimmen zum Halleffekt. Christian Dietrich Grabbes fiebriges, episch breites Schauerdrama "Gothland" von 1821 lebt deutlich vom Vorbild Shakespeares, die Botschaft ist zeitlos: Er geißelt die Gewaltspirale von Bruderzwist und Fremdenhass bis hin zum Völkermord. Doch das Textpathos ermüdet, der Wandereffekt nervt auf Dauer trotz der Faszination durch das sensibel geführte Männerensemble (glänzend nicht nur Alexander Diepold und Rainer Haustein als schwarzweißes Gegnerpaar). Aber immer wieder erfindet Schopohl beklemmende Bilder von kalter Schönheit, magische Momente, wo sie das Grauen ästhetisch bannt und die Grenzen bedrängend aufgehoben sind. 
 
 
AZ 28.01.2002

Die Welt - eine kalte, geflieste Wüste

Das Theater Fisch & Plastik spielt Grabbes "Herzog Theodor von Gothland" im Luftschutzbunker

Den Geruch nach Putz und Desinfektionsmitteln kriegt man nicht mehr aus der Nase. Im Falle eines Atomkriegs sollen in diesem Bunker 800 Menschen 14 Tage überleben - da möchte man nicht dabei sein. Der Ort in dem Eos Schopohl Christian Grabbes Schauerdrama "Herzog Theodor von Gothland" inszeniert hat, dient dem Leben, aber er atmet Tod. Nackte, geflieste Korridore, von den Wänden bröckelt der Putz. Das Theater Fisch & Plastik geht mit seiner Stand-, und Spielort-Suche in soziale Randzonen. Endzeit herrscht in Grabbes Sturm und Drang-Schauspiel (1822), das die Entmenschlichung und Verkriegung der Gesellschaft als apokalyptische Vernichtungsorgie beschreibt. Die Welt ist eine eiskalte Wüste, Krieg der Normalzustand, Glück eine Sünde. Die Herren der Macht tragen dunkle Anzüge, dann Patronengürtel über Ledermänteln, Afghanenkäppi und Schlagstöcke, später auch Invalidenkrücken. Man beschädigt sich, wo man nur kann: Der Neger Berdoa (Rainer Haustein), Führer des Finnen-Heers, treibt seinen schwedischen Gegner Gothland (Alexander Diepold) zum Brudermord und Moral-Bankrott. Das büßt Berdoa als Latrinenputzer, aber ihm bleiben genug Hass und Rache. Dreieinhalb Stunden wandert der Zuschauer mit Klappstuhl durchs Katakomben-Labyrinth. Ohne Angst vor Pathos inszeniert Eos Schopohl mit ihrem fabelhaft homogenen Ensemble großes, intensives Sprechtheater. Neonröhren; Licht und Schatten (Bühnenbild: Lucia Nußbächer, Licht: Jo Hübner) schaffen beklemmende Stimmungen, die Musik wird immer bedrohlicher (Bülent Kullukcu). Am Ende des düster-nihilistischen Spektakels ist man erschöpft dankbar, dass noch eine U-Bahn fährt. 
Gabriella Lorenz 
 
 
Münchner Merkur 28.01.2002

Mord im hohen Norden

Bahnhofsbunker: Eos Schopohl inszenierte Grabbes "Gothland"

Auf Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofs können Reiselustige am späten Abend auf große Fahrt gehen - entweder mit dem Nachtzug nach Napoli oder mit dem Theater Fisch & Plastik in den hohen Norden. Nach Schweden und Finnland, wo man sich gegenseitig die Köpfe ein- oder abschlägt, weil es um Brudermord und Rache, um Land, Macht und Krone geht. Eine wilde Geschichte also aus grauer Vorzeit: "Gothland", das erste Stück des jung gestorbenen, dem Suff ergebenen, genialen Christian Dietrich Grabbe (1801-1836). Die Zeitreise beginnt gleich neben der Bahnhofsmission. Dort führt die im Aufspüren von Stoffen, Stücken und neuen Räumen äußerst findige Regisseurin Eos Schopohl ihre Zuschauer, ausgestattet mit leicht tragbaren Klappsitzen, in und durch das Bunker-Labyrinth des Hauptbahnhofs. Hinein in den Gefühls- und Gedankendschungel dieses egomanischen schwedischen Herzogs Theodor von Gothland und seines Gegenspielers Berdoa, des schwarz-afrikanischen Oberfeldherrn der Finnen. Dabei gelingt Eos Schopohl die schwierige Gratwanderung zwischen dem Kryptischen, Geheimnisvollen, Verschwörerhaften des gewählten Schauplatzes, der Maßlosigkeit des Dichters, der romantischen und gleichsam gewaltigen Verssprache sowie der klaren, schnörkellosen Spielweise der einzelnen Szenen. Ob auf der Kommandobrücke des Kriegsschiffes, im neonbeleuchteten Thronsaal oder vor den finnischen Latrine In ihrer Ästhetik bleibt die Aufführung modern, kühn und streng textorientiert. Allerdings auch ausufernd lang. Dennoch höchster Respekt vor allen Beteiligten: Bülent Kullukcu (Musik), Lucia Nußbächer (Bühnenbild), Monica Felgendreher (Kostüme). Vor allem vor der Regisseurin Eos Schopohl selbst und ihren Schauspielern, die sich auf bemerkenswerte Weise mit diesem Monsterstück auseinandergesetzt haben. Getragen aber wird diese Inszenierung von ihren kopf- und spielstarken Protagonisten: von Alexander Diepold als Lenin-ähnlicher Gothland und Rainer Haustein als der finnische "Neger". 
Sabine Dultz

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