Abendzeitung 11.02.2003

Des Rabbi Wort in Gottes taubes Ohr

Das Theater Fisch & Plastik spielt "Disputation" in der Lukaskirche

Gespannt verfolgt die fanatische Königin (Eva Meier) den Disput zwischen dem Rabbi (Hubert Bail, li.) und dem Dominikaner Pablo Christiani (Rainer Haustein). Foto: V. DerlathNiemand steht über dem König. Nicht einmal der Papst. Mit diesen stolzen Worten erteilt König Jakob I. von Aragon (Robert Spitz) dem Rabbi Moses ben Nachman (Hubert Bail) volle Redefreiheit. Zu ungleich sind sonst die Bedingungen der Diskussion, zu der der Rabbi 1263 in Barcelona gegen den Dominikaner und konvertierten Juden Pablo Christiani (Rainer Haustein) antreten muss. Er darf nichts sagen, was den Christen als Gotteslästerung gelten könnte, also eigentlich nicht aus jüdischer Sicht argumentieren. Ziel der Christen ist es, mit Talmud-Zitaten zu beweisen. dass Jesus der Messias ist - dann könnten sich die luden nicht mehr der Taufe widersetzen. Das gelingt nicht - auch in Spanien werden künftig die Juden verfolgt und vertrieben. Diese historische "Disputation - Christen gegen Juden" und die Motive der Beteiligten zeichnet der englische Judaist Hyam Maccoby in seinem Theaterstück nach. Regisseurin Eos Schopohl, spezialisiert auf schwierige Stoffe und ausgefallene Spielorte, inszenierte mit dem Theater Fisch & Plastik die deutsche Erstaufführung in der evangelischen Lukaskirche: eindrucksvoller Schauplatz einer spannenden Auseinandersetzung. Wie meist bei Schopohl müssen die Zuschauer mitwandern. Der König spielt mit seiner tanzenden Geliebten (Nike Maria Vassil) Blinde Kuh im Kirchengestühl, seine eifersüchtige Gemahlin Yolanda (Eva Meier) berät mit dem Dominikaner Penaforte (Alexander Diepold) auf der Empore die Strategien, eine Nebenkapelle wird zur schlichten Wohnung des Rabbi und seiner Tochter (Angela Klecker), die dem werbenden Höfling Don Alconstantini Sebastian Kalhammer) einen Korb gibt. Raffiniertes Licht (jo Hübner) und atmosphärische Musik (Bülent Kullukcu) untermalen die Stimmungen. Die Akustik ist allerdings auch mit Mikroports nur schwer in den Griff zu kriegen. Der zentrale Disput wird packend und emotional über den Mittelgang hinweg ausgetragen - ohne Annäherung. "Ihr müsst einen Weg finden, Christen zu sein, ohne uns zu verbieten, Juden zu sein", fordert der Rabbi. Gott hat sein Wort schon damals nicht gehört. 
Gabriella Lorenz

 
 
Süddeutsche Zeitung 11.02.2003

Machtfrage

Das Theater Fisch & Plastik spielt "Disputation" in der Kirche

Seit nunmehr zehn Jahren entwickelt die Regisseurin Eos Schopohl mit ihrer freien Theatergruppe Fisch & Plastik engagierte, experimentelle Performances an ungewöhnlichen Spielstätten; zuletzt verwandelte sie den Tiefbunker unter dem Hauptbahnhof in Christian Dietrich Grabbes "Gothland". Für die deutsche Erstaufführung des Stücks "Disputation" von Hyam Maccoby über den christlich geprägten Antijudaismus, verortet im spanischen Aragon im 13. Jahrhundert, wählte sie für ihre zehnte Produktion dieser Art jetzt die Lukaskirche am Mariannenplatz am linken Isarufer aus. Ein imposantes Gebäude - wuchtige, über Eck gestellte Türme, eine mächtige Kuppel, selbstbewusste Bildungsarchitektur, ein Stilmix von Neo-Romanik, -Gotik, - Renaissance. In der Luft liegt ein besserwisserischer Predigerton. Schopohl gelingen vor allem durch Licht- und Perspektivänderungen eindrucksvolle Bilder, die an Andrea da Firenzes Fresken erinnern. Die sinnliche Darstellung im Rahmen eines interaktiven Stationendramas bringt den nüchternen Geschichtsstoff nahe an die Zuschauer heran, macht Parallelen zum aktuellen Zeitgeschehen deutlich: Gesänge und Unterredungen unter Spitzbögen, zentriert und zart illuminiert wie im "Triumph des Thomas von Aquin", werfen Fragen auf: Wie steht es um das Verhältnis Vernunft - Offenbarung, Überzeugung - Gewalt, Häresie - Erleuchtung zwischen den drei prophetischen Religionen? König Jakob I. von Aragon, dargestellt von Robert Spitz, spielt am liebsten Kicker mit seinem smarten jüdischen Berater Don Alconstantini, gezeigt von Rainer Haustein. Die "Judenfrage" verkennt er als sportlichen Wettstreit um die Wahrheit allein mit Worten. Naiv, triebbestimmt, blind durch seinen "heidnischen Gerechtigkeitssinn", ist er nur Teil eines weltpolitischen Machtspiels. Denn die Disputation zwischen Rabbi Moses ben Nachman und dem getauften Juden Pablo Christiani wird der "Beginn eines langen Feldzugs" - es folgen Verketzerung, Kreuzzüge, Kirchenspaltung. 
Eva Maria Fischer

 
 
Münchner Merkur 11.02.2003

Auf der Spur von scharfer Aktualität

"Disputation": Theater in der Lukaskirche

Bei Ideen- und Doku-Dramen fährt man ja meist erst mal die Abwehrstacheln aus _ erst recht, wenn ein Professor für Altertumskunde zur Feder gegriffen hat. Vorurteile schmelzen aber schnell weg bei dem Judaisten Hyam Maccoby und seiner "Disputation - Christen gegen Juden" (1988) in der streng-klaren deutschen Erstaufführung von Eos Schopohls Theater Fisch & Plastik. Immer auf der Fährte von Risiko und passendem Spielort, ist es diesmal die Münchner Lukaskirche (Mariannenplatz). Hart auf der Spur auch von brandscharfer Aktualität: im Zuge des Israel-Palästina-Konflikts wieder aufflackernder Antisemitismus - dass ist, Regie-Fingerzeig nicht nötig, der Hintergrund, auf dem man Schopohl versteht. Unter päpstlichem Druck lässt sich der im Grunde den Juden wohlgesinnte Jakob I. von Aragon 1263 überreden zu einem "Streitgespräch" zwischen Rabbi Moses ben Nachman und dem Konvertiten Pablo Christiani. Der Ex-Jude soll das "Bekehr-Geschäft" am besten verstehen. Auf diesen Kern-Dialog bereitet Schopohl mit Kurz-Sequenzen in seitlichen Nischen und rundum auf Emporen bestens vor. Beim Umherwandern und durch schwierige Akustik geht wohl etwas an Konzentration verloren. Eine Guckkastenbühne hätte aber nie die inquisitorische Authentizität dieser karg-düsteren Kirche. Und die Darsteller holen einen sofort wieder in den Text zurück. Robert Spitz, ein zwischen erotischen (Geliebte vs. Gattin) und religiös-politischen Fronten leicht abgelebt-willenloser König, vor allem aber Hubert Bail als präziser, sinnesoffener Anwalt des jüdischen Glaubens, ein Bruder Nathans quasi, und Rainer Haustein, ein besessen Bekehrter, der sich jedoch vor Klischeehaftigkeit hütet. In ihrem Gefecht der Lehr- und Glaubenssätze steht gegen starr-dogmatische Wortgebundenheit der christlichen Religion die lebendige Auseinandersetzung, die Auslegungsfreiheit des Talmud. Der in jüdischer Denk- und Streitkultur geschulte Rabbi siegt haushoch im Argument - in der Realität der Machtverhältnisse muss er außer Landes. . . Ein Abend, echt, ohne jeden Thesen-Haugout. 
Malve Gradinger

 
 
TZ 10.02.2003

Die Wurzeln des Hasses

"Disputation", ein Theaterstück in der Lukaskirche

Theologische Thesen zwischen Kirchenbänken:"Disputation"  Foto: DerlathAntisemitismus gibt es nicht erst seit dem 3. Reich; seine Wurzeln reichen weit zurück. Schon früh entwickelte er sich aus religiösem Fanatismus, politischem Kalkül und heftig geschürten Vorurteilen im Volk. Der Schoß ist fruchtbar noch; und so thematisiert Hyam Maccoby in seinem Thesenstück "Disputation" die Anfänge. Spanien im 13. Jahrhundert: ein Streitgespräch zwischen Rabbi und katholischem Konvertit soll die Juden durch Vernunft bekehren. Denn der Papst macht Druck auf den freidenkerischen König von Aragon, der seine jüdischen Ärzte und Ratgeber nicht verlieren möchte. Mit untrüglicher Witterung für aktuelle Fragestellungen - und ausgefallene Spielorte - hat Regisseurin Eos Schopohl vom Theater Fisch & Plastik das spröde Drama für die deutsche Erstaufführung gewählt. Zwar ist es von religionsphilosophischen Informationen überfrachtet, lebt nur vom Wort und bietet den Schauspielern wenig Raum zu individueller Entfaltung; doch Schopohl gelingt eine dichte Inszenierung mit starkem Sog und effektvollen Bildern. Im mystischen Halbdunkel der dramatisch ausgeleuchteten Lukaskirche werden die Zuschauer von Station zu Station geführt. Dort agiert ihre bewährte Truppe - besonders stark die Männer - zwischen Kirchenbänken und auf der Empore. Kirchenlieder machen Atmosphäre, dumpfe Tonfolgen steigern die Spannung bis zum bitteren Ende. 
B. Welter
aktuell chronik mitarbeiter vorbestellung kontakt